Ortsbegehung und Kolloquium des campus³-Preises an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
„Vielfalt ist die beste Antwort“
Mit dem campus³-Preis prämiert die rheform in diesem Jahr zum fünften Mal zukunftsweisende Konzepte der Hochschularchitektur. Gesucht werden Lehr- und Lernwelten, die so flexibel sind, dass sie auch in der Wissenschaftskultur von Morgen Bestand haben. Studierende können in einem eigenen Entwurf eine Vision für den Hochschulbau der Zukunft entwickeln oder eine von den Auslobern angebotene Aufgabenstellung bearbeiten.
In der diesjährigen Aufgabenstellung sollen die Kreuzbauten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sinnvoll und zukunftsfähig nachgenutzt werden. Die standardisierten Bestandsgebäude haben ihren Lebenszyklus durchlaufen und ihre technische Gebäudeausstattung bereits mehrfach – doch deshalb gehören sie noch lange nicht auf die Abrissliste.
Im Rahmen einer Ortsbegehung konnten die Studierenden sich selbst ein Bild vom Nachnutzungspotenzial der Kreuzbauten machen. Anschließend erfuhren sie im Kolloquium mehr über die Arbeit der rheform und die Ausrichtung des Preises.
Zahlreiche Teilnehmende aus Aachen, Darmstadt, Berlin und Mainz hatten das Angebot angenommen und sich an der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) versammelt, um mit Joachim Heintze, dem geschäftsführenden Gesellschafter der rheform, über den (Hochschul-)Bau von Morgen nachzudenken. Professor Amandus Samsøe Sattler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und Mitglied der diesjährigen Jury des campus³-Preises, setzte mit einem Vortrag zum „Wert des Bestehenden“ zusätzliche Impulse.
Ortsbegehung: Die Kreuzbauten der JGU Mainz
„Man hat das Gefühl, dieses Gebäude will nicht, dass man reingeht“, meinte Prof. Dr. Manuel Blickle schon bei den ersten Schritten Richtung Eingang. Der Professor für Arithmetische Geometrie führte zusammen mit Bauunterhaltsmanager David Fröhling, Bauprojektleiterin Sandra Faier und rheform-Gründer Joachim Heintze die Teilnehmer:innen des campus³-Preises durch die Kreuzbauten der JGU.
Kreuzbauten sind an deutschen Hochschulen keine Seltenheit. Da man in den 1970er und 1980er Jahren aufgrund des wachsenden Flächenbedarfs schnell neuen Lehr- und Lernraum schaffen musste, wurden diese standardisierten Fertigbetonskelettbauten gern und häufig verwendet. Doch den Anforderungen des modernen Lehrens und Lernens können sie nicht gerecht werden.
Kreuzbauten: Chance und Herausforderung für die Zukunft des nachhaltigen Hochschulbaus
Das wurde auch bei der Begehung an der JGU deutlich. Viele Räume haben keine ausreichende Belichtung, was gerade im Winter das produktive Arbeiten erschwert. Im Sommer sei es besser, berichtete Prof. Dr. Blickle, doch durch die unzulängliche passive Kühlung hätten einige Räume teilweise schon um 10 Uhr morgens 25–30 Grad.
Grundsätzlich hat man bei einem Fertigskelettbau einiges an Gestaltungsspielraum, wenn man ihn frei entkernt und auf das Skelett zurückführt, doch bei den Kreuzbauten der JGU gibt es einige Einschränkungen. Der Gebäudekern ist brandschutztechnisch nicht abgetrennt und, wie Joachim Heintze zusammenfasste: „Das Brandschutzkonzept beeinflusst immer das Nutzungskonzept“. Zwar hat die JGU versucht, im Eingangsbereich Orte der Begegnung zu schaffen, doch die feuerfesten Stühle und Bänke aus Metall, auf die man hier aus Brandschutzgründen zurückgreifen musste, seien so unbequem, dass sie kaum genutzt würden, erklärte David Fröhling.
Kommunikation und Austausch: Verständnis für die Nutzer:innen als Schlüssel für zukunftweisenden Hochschulbau
Dabei ist der interdisziplinäre und interpersonelle Austausch für die hier untergebrachten Fakultäten der Physik, Mathematik und Informatik aber von unschätzbarem Wert, wie Prof. Dr. Blickle betonte: „Man glaubt es kaum, aber die Mathematik ist tatsächlich ein sehr kommunikatives Feld“. Besonders in der Corona-Pandemie habe man gemerkt, wie sehr das gemeinsame Diskutieren und Zusammenarbeiten den Studierenden und Lehrbeauftragten gefehlt habe.
Die Nutzung bestimmt die Gestaltung: Im ersten Schritt geht es um die Nutzer:innen und ihre Kultur
Gerade deshalb, fügte Joachim Heintze hinzu, sei es umso wichtiger, die Kultur der Nutzer:innen eines Gebäudes zu verstehen, bevor man in die Konzeption geht. „Aus der Funktion soll sich die Form ableiten“, betonte er. Man müsse Menschen in Bewegung und Gebäude in Raum und Zeit denken. Wie arbeiten, forschen und lernen Studierende und Lehrende nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft? Welche Arbeitsumgebung wünschen sich die vielfältigen, unterschiedlichen Fachdisziplinen und wie kann eine passive, räumliche Umgebung ihr Wertegerüst und ihre Kultur stützen? Das sollten die zentralen Fragestellungen für Planer:innen sein, so der rheform-Gründer. Denn nur wenn die Nutzungsmöglichkeiten eines Gebäudes flexibel sind, bleibt es dauerhaft nutzbar – und wird damit nachhaltig, ergänzte er.
„Der Wert des Bestehenden“: Impulsvortrag des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
Das Thema Nachhaltigkeit liegt Prof. Amandus Samsøe Sattler, dem Präsident der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, besonders am Herzen. Im Rahmen des Kolloquiums hielt er einen Impulsvortrag zum „Wert des Bestehenden“. Wie er ausführte, erscheinen Neubauten oft kostengünstiger als eine Sanierung, doch das mache sie noch lange nicht zur besseren Alternative. Der DGNB-Präsident appellierte an die Studierenden, mit einer Wertschätzungsanalyse zu beginnen und das Objekt auf verschiedenen Achsen, von Weitem und im Detail zu betrachten.
„Man kann nicht klimaneutral bauen“, führte Prof. Samsøe Sattler den Studierenden vor Augen. Der Neubau eines Gebäudes verursache pro Quadratmeter und Jahr im Schnitt 12 Kilogramm CO2-Emissionen.
Ein 30 Jahre alter Baum könne ungefähr 11 Kilogramm im Jahr absorbieren. Selbst wenn man für jeden gebauten Quadratmeter einen Baum pflanzen würde, seien die verursachten Emissionen darüber unmöglich auszugleichen.
Ein Weg zum klimaschonenden Bauen führe daher über den Bestand, so der DGNB-Präsident: „Mit dem gleichen Emissionsbedarf kann man entweder zehn Häuser neu bauen oder 23 Häuser sanieren“.
Vielfalt als Chance: So kann die Nachnutzung von Hochschulgebäuden gelingen
Ein weiterer wichtiger Aspekt für eine zukunftsfähige Nachnutzung von Bestandsgebäuden sind New-Work- und New-Learning-Konzepte, wie Joachim Heintze ausführte: „Die baulichen Aspekte eines Hochschulgebäudes haben immer einen strukturellen Hintergrund“. Räume müssen flexibel nutzbar sein und Arbeitsplätze geteilt werden, damit auf einer begrenzten Fläche möglichst viele Menschen arbeiten können – jetzt und in Zukunft.
„Vielfalt ist die beste Antwort“, betonte Heintze generell. Denn so viel wir auch planen, recherchieren und überlegen, wir können nicht wissen, wie genau in 50 oder 100 Jahren an Hochschulen gelehrt und geforscht werden wird, führte er weiter aus. Prof. Samsøe Sattler stimmte zu: „Vielleicht ist ein Schulgebäude dann nicht mehr als Schule zu denken, aber als etwas anders“, Wohnungen zu Beispiel. Durch eine durchdachte und zukunftsweisende Nachnutzung können alte Gebäude neuen Wert gewinnen, so der DGNB-Präsident.
campus³-Preis: Noch bis zum 2.09. können die Teilnehmenden an ihren Einreichungen feilen
Genau das ist es, was der campus³-Preis sich von den teilnehmenden Studierenden wünscht. Eine räumlich-bauliche Antwort auf die strukturell-organisatorische Frage, wie Lehren, Lernen und Forschen in der Zukunft aussehen könnten.
Das Publikum des Kolloquiums hörte interessiert zu, machte sich Notizen und stellte während und nach den Vorträgen Fragen. Insbesondere die aktuell geplante Nachnutzung der Kreuzbauten, ihre Aufstockungsmöglichkeiten, das Tragwerk der Fluchtbalkone und die möglichen Erschließungszonen beschäftigten die Studierenden.
Sowohl Joachim Heintze als auch Prof. Amandus Samsøe Sattler, die beide in der diesjährigen Jury des campus³-Preises sitzen, hoffen, dass das Kolloquium die Teilnehmenden inspiriert hat und freuen sich schon auf kreative, zukunftsweisende Entwürfe.
Bilder der Begehung: rheform
Titelbild: Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Bild von Prof. Samsøe Sattler: Reto Klar, Funkemedien
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