
Zukunftsräume flexibel gestalten
Trends und Tendenzen für die Arbeitswelten über Corona hinaus
Glaubt man Medienberichten, so prüfen Firmenchefs weltweit, ob sie ihre teuren Immobilien noch brauchen, weil das Home-Office so gut funktioniert. Ist das nur ein vorübergehender Trend oder ist das Büro, so wie wir es kannten, ein Auslaufmodell? Marco Wagner, Geschäftsführer der rheform – WorkplaceInnovation GmbH, sieht die Dinge differenzierter. Mit seinem Team konzipiert er innovative Workplace-Konzepte. Aus ihnen heraus entstehen neue Arbeits- und Lernwelten für Großunternehmen, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen sowie für Mittelständler.
Sieben Fragen und Antworten zu Produktivität im Großraumbüro, den drei Faktoren guter Raumplanung und warum das Büro als Arbeitsort weiterhin eine Zukunft hat.
Welche Raumstrategie empfehlen Sie aktuell Ihren Kunden im Kontext der Corona-Schutzmaßnahmen?
Ich fände es vermessen, eine pauschale Vorgehensweise zu empfehlen, wie Unternehmen oder Institutionen auf die Herausforderungen der Pandemie reagieren sollen. Das ist eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam mit den Kunden erarbeiten können, indem wir die individuellen Ansichten, die spezifischen gesetzlichen Regelungen und das jeweilige Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Belegschaft berücksichtigen.
Wir dürfen ja nicht vergessen: Selbst wenn wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Büroflächen weit auseinandersetzen und Schutzmaßnahmen einziehen, so begegnen sich die Menschen weiterhin im Gebäude auf den Wegen zu unterschiedlichen Orten wie Kantine, Teeküche, Besprechungsräumen oder Toiletten. Und Corona ist, wie wir sehen, ein Thema, das uns alle noch länger beschäftigen wird. Die damit verbundenen Herausforderungen lassen sich auch nicht allein über ein Raumkonzept lösen. Hier ist vielmehr das ganze Unternehmen mit Verantwortlichen aus allen Bereichen aufgefordert, den eigenen Standpunkt zu klären und das für sie passende Konzept für die Zukunft zu entwickeln. Von daher empfehle ich Kunden, ihre Raumstrategie sehr genau zu überdenken, damit die coronabedingten Umbaumaßnahmen die gewünschte Flexibilität von Arbeitsumgebungen mittel- und langfristig nicht einschränken.


Was macht eine gute Raumstrategie aus?
Sie sollte maßgeschneiderte Lösungen liefern, Perspektiven bieten und nicht nur auf den Status quo reagieren. Das ist deutlich mehr als nur eine hippe neue Bürowelt zu konzeptionieren, wie man sie zum Beispiel aus den angesagten Technologieunternehmen kennt. Wir sehen unsere Aufgabe darin, gemeinsam mit den Kunden für jeden Bereich und jede Anforderung die idealen Bedingungen zu entwickeln und der Vielfalt an Menschen und Kulturen im Unternehmen gerecht zu werden.
Wie gelingt Ihnen das?
Das geschieht im ersten Schritt über eine klassische Analysephase, in der wir uns mit unseren Kunden intensiv über die Zielsetzung und Vision austauschen und die Anforderungen der einzelnen Arbeitsplätze klären – heute und in Zukunft. Wir analysieren die einzelnen Arbeitsweisen genau und ermitteln die Anteile an kreativer, kollaborativer Tätigkeit und an konzentrierter Einzelarbeit. Außerdem betrachten wir die Kommunikation in unterschiedlichen Konstellationen und Nachbarschaften. Mit diesen Ergebnissen gehen wir in die Konzept- und Planungsphase, an deren Ende dann die Umsetzung steht. Das ist das, wofür wir bei der rheform stehen: Wir erstellen eine zielorientierte Bedarfsplanung. Denn es ist doch ganz klar: Eine Juristin, die sich mit komplexen Vertragswerken beschäftigt, hat andere Bedürfnisse an ihr Arbeitsumfeld als ein Kreativer aus dem Marketing oder Personalverantwortliche, die vertrauliche Gespräche führen.
Das heißt, Sie halten nichts von Großraumbüros?
Nicht im klassischen Sinn, wenn man unter einem Großraumbüro eine Bürofläche mit 20, 30 oder auch 50 aneinander aufgereihten Arbeitsplätze versteht. Unter solchen Bedingungen würde auch ich nicht arbeiten wollen. In Großraumbüros dieser Art lässt sich nämlich nicht wirklich effektiv arbeiten und die Menschen fühlen sich unwohl. Das zeigen auch Studien: Je mehr Menschen auf einer Fläche sitzen, desto größer ist die Unzufriedenheit. Diese Studien beziehen sich aber meistens auf Büros mit fehlenden Ausweichmöglichkeiten oder auf schlecht umgesetzte Großraumkonzepte. Und viele dieser Studien blenden wichtige Faktoren aus, die stark mit der Bürostruktur verbunden sind, wie zum Beispiel Aufgaben, Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die Unternehmenskultur. (1)
Wir bei der rheform – WorkplaceInnovation denken vor allem in einem strukturierten, gut gegliederten Mix aus offenen, halboffenen und geschlossenen Arbeitsflächen, der sich zielgerichtet an die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens ausrichtet. Bei den offeneren Strukturen, den so genannten „Multispaces“, achten wir auf ausreichend Rückzugsraum für konzentriertes Arbeiten. Unterschiedliche Raummodule schaffen außerdem Orte der Begegnung. Diese fördern und stärken die Kommunikation innerhalb der Belegschaft. Gestalterische Elemente lockern die Flächen auf. Unser primärer Fokus liegt immer auf „Licht, Luft und guter Akustik“. Misst man diesen Faktoren bei der Konzeption ausreichend Gewicht bei, entsteht ein Umfeld, in dem konzentriertes Arbeiten möglich ist, wo es eine bunte Vielfalt an unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten gibt und eine freundliche, motivierende Atmosphäre herrscht. Über die positive Wirkung solcher Arbeitswelten gibt es jetzt erste systematische Studienergebnisse, die Faktoren wie Führung und Organisation berücksichtigen und uns in unserer Vorgehensweise bestärken. (2)
Denken Sie überhaupt noch in Präsenzarbeitsplätzen? Mobiles Arbeiten ist schließlich in vielen Unternehmen nicht mehr nur ein Trend, sondern Fakt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es in Verwaltungs- und Firmenzentralen auch in Zukunft weiterhin Büroflächen geben wird, wenn auch mit anderen Schwerpunkten und Nutzungsflächen. Dazu spielt das Büro als Ort für Austausch und Begegnung einfach eine viel zu große Rolle – sowohl unter persönlich-menschlichen Gesichtspunkten als auch in fachlicher Hinsicht. Ich denke da zum Beispiel an den schnellen Schulterblick am Schreibtisch, an informelle Gespräche in der Kaffeeküche, aber auch an Phasen mit intensivem Austausch, wenn es zum Beispiel darum geht, Themen zu mehreren kreativ und kollaborativ voranzubringen.
Was wir auch nicht vergessen dürfen: Nicht jeder Mitarbeiter hat zu Hause die Ruhe, den Raum und einen ergonomisch vollausgestatteten Arbeitsplatz. Viele Menschen schätzen darüber hinaus die geregelten Abläufe, die mit Wege- und Pausenzeiten den Büroarbeitstagen eine klare Struktur geben.
All das sind Aspekte, die einen Arbeitsalltag, eine Arbeitsumgebung und damit auch eine Arbeitsstelle attraktiv und abwechslungsreich machen. Das sind Aspekte, die für das Büro sprechen und die aktuell, so habe ich das erlebt, sehr viele Menschen vermissen. Ich gehöre da übrigens auch dazu.
Ergibt sich aber nicht auch ein erhebliches Einsparpotenzial in der Fläche, wenn Menschen mehr mobil arbeiten und nur noch für spezifische Aufgaben ins Büro kommen?
Prinzipiell ja, denn mobiles Arbeiten hat definitiv eine Auswirkung auf die Fläche, die Unternehmen heute und in Zukunft belegen. Die spannende Frage ist die: Wie gehen die Verantwortlichen mit den Flächen um, für die sich aufgrund des Wegfalls von Präsenzarbeitsplätzen ein Einsparpotenzial abzeichnet? Widmen sie diese um in innovative Module oder streichen sie diese aus Kostengründen ersatzlos? Die Antworten auf diese Fragen geben in letzter Instanz die Kunden. Ihre Antworten hängen maßgeblich davon ab, welche Vision und Zielsetzung sie mit ihren Projekten verbinden und welcher Unternehmenskultur sie folgen.
Bei unseren Überlegungen richten wir unseren Blick auf die Vielfalt von Arbeitsmöglichkeiten und zeigen Alternativen zu dem klassischen, persönlich fest zugewiesenen Arbeitsplatz. Abhängig von den jeweiligen Tätigkeitsprofilen, Arbeitsweisen und gesetzlichen Vorgaben gestalten wir Flächen, die diesen Anforderungen gerecht werden. So setzen wir aber auch unabhängig von zusätzlichen Corona-Schutzmaßnahmen unsere Projekte um. Corona und die damit verbundenen Herausforderungen an die Arbeitswelt haben nur gezeigt, was alles möglich ist, was zuvor oft nicht denkbar war.
Wie bewerten Sie persönlich die Auswirkungen von Corona auf Ihre Arbeit?
Es wird in Zukunft selbstverständlicher sein, offenere Arbeitsplatzkonzepte zu initiieren. Schon jetzt treffen wir bei Verantwortlichen und in Belegschaften auf viel mehr Verständnis und Akzeptanz, wenn es um Themen wie mobiles Arbeiten, Home-Office und Desk Sharing geht. Schließlich hat die breite Masse der Menschen mit einem Bürojob inzwischen zwangsläufig Erfahrungen mit mobilem Arbeiten gemacht und dazu nun vielleicht eine andere Haltung entwickelt.
Jetzt geht es darum, das Thema für die Zukunft konstruktiv zu gestalten und den richtigen Weg zu finden. Und der unterscheidet sich schon zu den in den letzten Monaten vielfach erlebten 100 Prozent Home-Office, womöglich noch unter erschwerten Bedingungen, wie Home-Schooling oder fehlender Kinderbetreuung.
An diesem Punkt sehe ich uns als Beraterinnen und Berater in einer Vermittlerfunktion. Wir können das Beste aus den unterschiedlichen Arbeitsformen herausholen und neue Perspektiven eröffnen. Die Corona-Einschränkungen haben die digitale Transformation in den Unternehmen enorm vorangetrieben. Diesen im Grunde genommen längst überfälligen Entwicklungsschub können wir jetzt im Sinne der Menschen und Unternehmen weitergestalten und in Konzepte überführen, in denen New Work und Zukunftstechnologien einen Raum finden. Und auf diese Weise, davon bin ich fest überzeugt, bringen wir die Arbeitswelt insgesamt voran.

Marco Wagner ist Geschäftsführer der rheform – WorkplaceInnovation GmbH und dort zuständig für den Bereich Innovative Arbeits- und Lernwelten.
Die Fragen, in welchen Umgebungen Menschen ihre Potenziale am besten entfalten und wie sich diese Bedürfnisse in Einklang mit den vorhandenen Ressourcen bringen lassen, beschäftigen den Betriebswirt seit über 20 Jahren.
Marco Wagner bezeichnet sich selbst als „Büromensch“. Den direkten Kontakt mit seinem Team vermisst er unter den anhaltenden Corona-Einschränkungen am meisten.
Studiennachweise
(1) Vgl.: Bernstein & Waber, 2019: https://hbr.org/2019/11/the-truth-about-open-offices
(2) Vgl.: Engelen und Kollegen, 2018: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09613218.2018.1440958
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