Impulse für die Wissen­schaft in unsi­cheren Zeiten

Beiträge von rheform-Geschäfts­führer Guido Benzler auf der „ZEIT für Bildung“-Themenkonferenz

Stei­gender Wett­be­werb, Sanie­rungs­stau, digi­taler Wandel. Der Druck auf Hoch­schulen und Wissen­schafts­ein­rich­tungen ist hoch, die Aussicht auf eine Besse­rung der Lage eher gering. Zusam­men­ge­stri­chene Budgets, Fach­kräf­te­mangel und konti­nu­ier­lich zusätz­liche Aufgaben stellen die Führungs­riegen der Wissen­schaft vor Heraus­for­de­rungen. Und ange­sichts ständig neuer Krisen­herde mit allen mögli­chen Folgen für die hiesige Gegen­wart ist die Zukunft unbe­re­chen­barer denn je.

Diese Ausgangs­lage war Gegen­stand der „ZEIT für Bildung“-Themenkonferenz unter dem Leit­ge­danken „Hoch­schulen in der Krise – Was ist die Aufgabe der Wissen­schaft in unsi­cheren Zeiten?“ Zahl­reiche Hochschulexpert:innen und Fach­leute aus Politik und Wissen­schaft setzten sich mit dieser Situa­tion und poten­zi­ellen Lösungs­wege ausein­ander. Zu ihnen zählte auch rheform-Geschäfts­führer Prof. Dr. Guido Benzler. Er sprach über die Hand­lungs­spiel­räume von Führungs­per­sonen in schwie­rigen Umfel­dern, Bausteine für erfolg­reich umge­setzte  Sanie­rungs­pro­jekte sowie die Lehr- und Lern­welten der Zukunft. Seine Posi­tionen und Thesen aus zwei Beiträgen an zwei Tagen sind hier zusam­men­ge­fasst.

Die Ausgangs­lage

Die Heraus­for­de­rungen in Hoch­schulen und Wissen­schafts­ein­rich­tungen sind enorm. Drei zentrale Problem­felder stehen stell­ver­tre­tend für zahl­reiche weitere Brand­herde:

  • Der Sanie­rungs­stau von geschätzt 60 Mrd. Euro für alle Hoch­schulim­mo­bi­lien ist gewaltig. Es drohen funk­ti­ons­un­tüch­tige Gebäude und behörd­liche Schlie­ßungen.
  • Der Klima­schutz drängt. Infolge des verab­schie­deten Klima­schutz­ge­setzes müssen die gebäu­de­be­zo­genen Emis­si­ons­mengen bis 2030 um mehr als 40 Prozent sinken. Viele Hoch­schulim­mo­bi­lien haben eine schlechte Ener­gie­bi­lanz. Die derzeit hohen Ener­gie­preise kommen als weiterer Treiber hinzu. Marginal beheizte Räume und vermehrt Online-Lehre zur Kompen­sa­tion sind keine Lösungen auf Dauer.
  • Mehr und mehr Personen lernen, lehren und arbeiten an Hoch­schulen. Der Platz­be­darf steigt. Infolge des demo­gra­fi­schen Wandels bildet sich jedoch auch in den Hoch­schul­ver­wal­tungen der viel­fach beklagte Fach­kräf­te­mangel ab.

Allein bei den genannten Beispielen verbinden sich viel­fach struk­tu­rell-orga­ni­sa­to­ri­sche mit räum­lich-bauli­chen Frage­stel­lungen in einer enormen Komple­xität bei zuneh­mendem Hand­lungs­druck. Von daher benö­tigen Hoch­schulen und Wissen­schafts­ein­rich­tungen Struk­turen, Unter­stüt­zung und das Selbst­ver­ständnis, das sie in die Lage versetzt, diese Heraus­for­de­rungen zu lösen: inno­vativ, nach­haltig und bezahlbar.

Wege zur Lösung

Über Führung und Vernet­zung Hand­lungs­spiel­räume in schwie­rigen Ausgangs­lagen schaffen

Heraus­for­de­rungen der genannten Bauart lösen sich nicht von allein. Sie gehen auch nicht mehr weg. Konse­quente Igno­ranz macht sie nur noch größer. Und es genügt auch nicht, ein Ziel nur auszu­geben und im Rahmen eines Budgets nach innen und außen zur Umset­zung zu beauf­tragen. Selten bekommen Hoch­schulen dann das, was sie für ihre Zukunfts­fä­hig­keit tatsäch­lich brau­chen. Das Schei­tern wird so eher zum Teil des Programms.

Wie dann?

Es wird darauf ankommen, dass sich die Verant­wort­li­chen entschieden der Frage nach dem „WIE“ annehmen und ein gemein­sames „SO“ auf den Weg bringen – im Verbund mit allen Wissens- und Entscheidungsträger:innen. Das heißt konkret: Auch bei dieser Vorge­hens­weise gibt es einen Fahr­plan mit einem Ziel und Rahmen. Doch der bedeu­tende Unter­schied liegt darin, dass die Bereit­schaft aller Betei­ligten vorliegt, mitein­ander zu reden, sich aufein­ander einzu­lassen, auch einmal zurück­zu­ste­cken und im Konsens verbind­liche Entschei­dungen im Rahmen der Möglich­keiten zu fällen. Denn der Weg zu einem erfolg­reich umge­setzten Projekt führt über eine fundierte und belast­bare Planungs­grund­lage und diese entsteht über folgende Etappen:

  • Die Wissens- und Entscheidungsträger:innen kommen in diskus­sions- und hand­lungs­fä­higen Projekt­gruppen zusammen. Eine fach­kun­dige Mode­ra­tion steuert den Prozess: ergebnis- und ziel­ori­en­tiert.
  • Gemeinsam entsteht ein Anfor­de­rungs­profil für das Vorhaben.
  • Alle Ziel­kon­flikte kommen dabei auf den Tisch.
  • Gemein­schaft­lich, konsens­ge­bunden und verbind­lich werden diese Ziel­kon­flikte gelöst.
  • Die Vorge­hens­weise führt vor allem dann zum Erfolg, wenn die zentralen Aspekte für Bauvor­haben berück­sich­tigt und ausge­gli­chen werden, nämlich Funk­tion, Form, Zeit, Kosten und Nach­hal­tig­keit.

Was als Prozess zunächst über­schaubar klingt, bringt in der Realität in vielen Fällen Menschen mit Mandaten zusammen, die in der Summe vor allem eines eint: auf den ersten Blick unüber­brück­bare, wenn nicht sogar unver­söhn­liche Gegen­sätze. Von daher ist es nach­voll­ziehbar, wenn Führungs­ver­ant­wort­liche den program­mierten Konflikten auswei­chen und vermeint­lich einfa­chere oder schnel­lere Lösungen bevor­zugen. Doch hier sollte man realis­tisch bleiben. Die Heraus­for­de­rungen der Gegen­wart und Zukunft sind komplex. Das Geld für große Bauvor­haben ist begrenzt und die Ergeb­nisse sollten im besten Fall, auch unter Aspekten der gebo­tenen Nach­hal­tig­keit, mehrere Jahr­zehnte Bestand haben. Die meisten Menschen sind anfangs zunächst auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Das gilt auch, manchmal gerade für die, die ein Mandat tragen. Wegdu­cken ist also keine Option. Viel­mehr geht es darum, Schnitt­stellen zu finden, Perspek­tiven zu eröffnen und für Ausgleich zu sorgen. Das ist eine Führungs­auf­gabe.

Von daher lautet insbe­son­ders die Auffor­de­rung an die Präsident:innen: Gehen Sie in die Verant­wor­tung. Gehen Sie voraus. Lassen Sie sich nicht entmu­tigen, sondern kulti­vieren Sie die Zuver­sicht und das Vertrauen, dass sich gemeinsam prak­ti­kable Lösungen für Ihre Heraus­for­de­rungen, für Ihre Teams und für Ihre Kultur finden lassen. Suchen Sie sich Mitstrei­te­rinnen und Unter­stützer in der Orga­ni­sa­tion und holen Sie sich für die Umset­zung zusätz­liche Exper­tise von außen. Setzen Sie den ersten Schritt, füllen Sie Ihre Rolle aus, indem Sie sich an die Spitze des Zuges stellen.

Auch große, kost­spie­lige und konflikt­be­haf­tete Projekte können gelingen. Gemein­samer Wille und Konsens­be­reit­schaft zählen vor allem.

Eine wich­tige Voraus­set­zung, um Bewe­gung in den oftmals lähmenden Still­stand oder das als unbe­herrschbar erschei­nende Chaos zu bringen, lautet Leader­ship mit Mut und Verant­wor­tung.

Verant­wort­liche Führungs­per­sonen, die ihre Rolle ernst nehmen, gehen tatsäch­lich und kraft­voll in Führung. Sie sind ziel­ori­en­tiert und sich sehr wohl ihrer Grenzen bewusst. Um ihr Ziel zu errei­chen, erwei­tern sie ihren Kompe­tenz­be­reich durch externe Exper­tise, die sie genau dort in dem Ausmaß einsetzen, wo ihr eigenes Wissen und Vermögen endet. Sie denken in Szena­rien, gestatten unkon­ven­tio­nelle Gedanken und ebenen dadurch den Weg zu neuen Denk­räumen, die dann den Weg in die bauliche Umset­zung finden können.

Im Fall von großen Baupro­jekten heißt das, verant­wort­liche Führungs­per­sonen sondieren Möglich­keiten, sie bringen beharr­lich Bewe­gung in starre Struk­turen und begegnen mit externer Unter­stüt­zung dem Ziel in neuen Rollen, beispiels­weise als Investor oder Bauherr. Das ist möglich und auch für Insti­tu­tionen ohne eigene Baube­hörde ein gang­barer Weg. Beispiele aus der Praxis belegen den Erfolg dieser Vorge­hens­weise und zeigen die damit verbun­denen Vorteile:

  • Bauvor­haben gewinnen an Tempo bei der Umset­zung.
  • Ziel­kon­flikte lassen sich besser managen und lösen.
  • Im Konsens gelingt die Eini­gung auf spar­sa­mere Konzepte.

Auf längere Perspek­tive bieten sich vor allem die bereits in Nord­rhein-West­falen etablierten „Stra­te­gi­schen Hoch­schul-Stand­ort­ent­wick­lungs­pla­nungen“ an. Sie machen Hand­lungs­spiel­räume sichtbar und legen die Grund­lage für zukunfts­fä­hige Lösungen. So entstehen Antworten auf die zentralen Fragen:

  • Welchen Flächen­be­darf haben wie viele Menschen wofür? Jetzt und in Zukunft?
  • Welcher Hand­lungs­be­darf ergibt sich aus dem Status des gegen­wär­tigen Liegen­schafts­be­standes?
  • Welche Poten­ziale lassen sich daraus für die Zukunft erschließen?

Die genannten Punkte berühren einen zentralen Punkt: das Selbst­ver­ständnis der Orga­ni­sa­tion und der ihr zuge­hö­rigen Menschen. Heute und in Zukunft. Antworten auf die oben genannten Frage gehen oft sehr tief. Sie tangieren Arbeits­weisen, Kommu­ni­ka­ti­ons­struk­turen und die gewach­sene Kultur der Insti­tu­tion. Die Ausein­an­der­set­zung mit diesen Fragen ist manchmal schmerz­haft, doch immer ein Gewinn, auch wenn sie manches in Frage stellen kann, denn auf diesen Feldern wirken starke Trans­for­ma­ti­ons­be­we­gungen, die sich gegen­seitig poten­zieren. Der demo­gra­fi­schen Wandel, neue Tech­no­lo­gien und globale Bewe­gungen seien als drei Beispiele von vielen genannt. Die Coro­na­pan­demie erwies sich hierbei nur als Brand­be­schleu­niger.

Doch lassen Sie sich nicht entmu­tigen. Seien Sie selbst­be­wusst, fokus­sieren Sie das Mach­bare und halten Sie sich vor Augen: Räume als Begeg­nungs­orte und Inno­va­ti­ons­treiber machen den Unter­schied. Exzel­lente Wissen­schaft setzt eine entspre­chende baulich-tech­ni­sche Infra­struktur voraus. Attrak­tive, best­mög­liche Bedin­gungen zum Forschen, Lehren, Studieren und Arbeiten sind kein „Nice-to-have“, sondern die Grund­lage für vieles: Hier entscheidet sich der Wett­be­werb um die besten Köpfe, auch unter inter­na­tio­nalen Gesichts­punkten, das Einwerben von Dritt­mit­teln für pres­ti­ge­träch­tige Forschungs­vor­haben und die Perso­nal­ge­win­nung gene­rell.

Die Lehr- und Lern­welten der Zukunft sind vor allem viel­fältig und anpas­sungs­fähig

Wir wissen nicht, wie wir in fünf oder zehn Jahren lehren, lernen, forschen und arbeiten werden. Auch wir haben keine Glas­kugel, doch wir stellen uns der Heraus­for­de­rung, diese Unsi­cher­heit anzu­nehmen und mit allen Projekt­be­tei­ligten so zu gestalten, dass sie der aktu­ellen und den nach­fol­genden Gene­ra­tionen best­mög­lich dienen – über Nutzungs­fle­xi­bi­lität sowie nach­hal­tige und effi­zi­ente Konzepte.

Als wich­tige Faktoren für eine lang­fristig flexible und bedarfs­ori­en­tierte Nutzung gelten:

  • Flächen so flexibel wie möglich halten in Hinsicht auf Wände, tech­ni­sche Ausstat­tung und Bestim­mungen.
    Unter Gesichts­punkten der Digi­ta­li­sie­rung bezieht sich dieser Punkt beispiels­weise bei Biblio­theken auf die Zukunft des Buches oder im Kontext der Verwal­tung auf die künf­tige Form der Akten­ver­wah­rung. Beide Aspekte spre­chen ein großes Raum­thema an.
  • Möglich­keiten für spon­tane Begeg­nung und Kommu­ni­ka­tion schaffen.
    Orte und Flächen dieser Art gelten als Wegbe­reiter für Inno­va­tionen. Hierfür sollten möglichst viele unter­schied­liche Vari­anten im Angebot sein.
  • Flexible, tages­zeit­un­ab­hän­gige Öffnungs­zeiten ermög­li­chen.
    Unab­hängig von persön­li­cher Lebens­si­tua­tion und Arbeits-/Lerntyp können Nutze­rinnen und Nutzer so ihre Studien- und Forschungs­pro­jekte best­mög­lich voran­treiben.
  • Büros und Arbeits­flä­chen unter New Work-Gesichts­punkten gestalten.

Eine struk­tu­rierte, gut geglie­derte Mischung aus offenen, halb­of­fenen und geschlos­senen Flächen für Verwal­tung und Lehr­per­sonal ist ein signi­fi­kanter Faktor für funk­tio­nale und spar­same Konzepte.

Dabei gilt es zu bedenken, dass es keine Patent­re­zepte gibt, sondern nur indi­vi­du­elle Lösungen, denn die Arbeits­weisen, Forschungs­in­halte und Kulturen sind sehr indi­vi­duell. Eine mathe­ma­ti­sche Fakultät hat andere Bedürf­nisse als ein Depart­ment für Soziale Arbeit.

Unsere Empfeh­lung lautet von daher: Ziehen Sie grund­sätz­lich die Nutzenden in die Planung von Anfang an ein, bilden Sie eine Projekt­gruppe aus Lehr­per­sonal, Beleg­schaft und Studie­renden. Arbeiten Sie gemeinsam auf das Ziel hin, indi­vi­duell attrak­tive Lehr‑, Lern- und Arbeits­welten zu schaffen, die Menschen anziehen, ihnen Raum für Begeg­nung und Austausch bieten. So wird es Ihnen gelingen, dass die Menschen an Ihrer Insti­tu­tion gerne studieren, forschen und arbeiten und über­zeugt ihr Bestes geben – für sich, die Insti­tu­tion und letzt­lich auch für die Gesell­schaft.

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