
Wer verwaltet deutsche Hochschulen?
Untersuchung der deutschen Universitätskanzlerinnen und ‑kanzler

Erschienen in
Wissenschaftsmanagement
Ausgabe 2020 – Entscheiden.Führen.Gestalten
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Über die Zusammensetzung der Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder in der Wirtschaft wurde bereits eine Vielzahl an Studien durchgeführt, deren Ergebnisse für gesellschaftliche Debatten und gesetzliche Eingriffe sorgten (unter anderem der Führungskräfte-Monitor 2010). Die leitende Ebene von Hochschulen in Deutschland ist hingegen verhältnismäßig wenig untersucht worden. Es existiert eine Aufstellung des Präsidiums an deutschen Universitäten in einer Analyse des CHE – Centrum für Hochschulentwicklung von 2018.

Prof. Dr. Guido Benzler
Geschäftsführender Gesellschafter der rheform GmbH. Er verfügt über langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der strategischen Unternehmensführung und Organisationsentwicklung.

Philipp Adler, M.Sc.
arbeitet seit 2013 bei der rheform – EntwicklungsManagement GmbH und berät als Projektleiter Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen bei strategischen und organisatorischen Fragestellungen.
Um in diesem Bereich weitere Klarheit zu schaffen, hat die rheform – EntwicklungsManagement GmbH im Rahmen einer Studie grundlegende demografische Daten über die Kanzlerinnen und Kanzler der deutschen öffentlichen Universitäten erhoben. Betrachtet wurden die Fachrichtung des absolvierten Studiums, das Alter, das Geschlecht und der Berufsweg über die letzten 20 Jahre. Wie lange das jeweilige Präsidiumsmitglied im Amt ist und wie häufig es wiedergewählt werden kann, hängt dabei von landesspezifischen Regelungen ab. In einigen Bundesländern ist die Amtszeit auf maximal zwei Amtsperioden begrenzt, in anderen ist eine Wiederwahl unbegrenzt möglich.
Führungskräfte in der Wirtschaft
Betrachtet man die bisherige Forschung in anderen Bereichen, so erhielten Veröffentlichungen rund um das Thema Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt und in Führungsebenen im Speziellen in der gesellschaftlichen Debatte besonders große Aufmerksamkeit. In der Konsequenz kam es zu gesetzlichen Anpassungen. So wurde versucht, der niedrigen Zahl an Frauen in leitenden Positionen mit dem im Jahr 2015 eingeführten Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, der sogenannten „Frauenquote“, zu begegnen. Dies führte zu einem Anstieg des Anteils weiblicher Aufsichtsratsmitglieder von 21,9 Prozent auf immerhin 35,2 Prozent (Stand: April 2020)(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).
Auch zum Thema Alter von Führungskräften existiert eine breite Datenlage. Die durchschnittliche Führungskraft ist in Deutschland 51,2 Jahre alt (Bürgel 2015). Dabei befinden sich 29,6 Prozent der Chefinnen und Chefs im Alterssegment von 41 bis 50 Jahren. Knapp 9 Prozent sind älter als 71 Jahre, jedoch lediglich 2,7 Prozent zwischen 21 und 30 Jahren alt.
Datengrundlage und methodisches Vorgehen
Als Grundlage für diese Studie dienen Daten, die entweder frei im Internet zugänglich sind oder im Rahmen persönlicher
Anfragen erhoben wurden. Die Onlinedaten wurden sowohl über die Homepages der Universitäten als auch über Pressemeldungen oder Webseiten Dritter zusammengetragen. Weitere generelle Informationen über die Hochschulen stammen aus der rheform-eigenen Datenbank sowie den Datenbanken des Statistischen Bundesamtes. Es wurden die öffentlichen Universitäten Deutschlands in der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes ohne Universitätskliniken untersucht. Da sich bei der Deutschen Hochschule der Polizei Münster und der Hochschule für Politik in München keine derartigen Positionen finden ließen, wurden diese nicht miteinbezogen. Somit wurden insgesamt 80 amtierende und 103 ehemalige Kanzlerinnen und Kanzler ausgewertet.
Vorstellung der Ergebnisse
54, männlich und Jurist … So ist die Leitung der Verwaltung einer durchschnittlichen deutschen Universität aktuell besetzt. Im Folgenden werden Ergebnisse der Erhebung im Detail vorgestellt.
Im August 2019 waren 72 Prozent der amtsinhabenden Personen männlich und 28 Prozent weiblich (siehe Abbildung 1). Damit liegt die Quote unter den bereits genannten gut 35 Prozent weiblichen Führungskräften im privatwirtschaftlichen Sektor und knapp unter dem Referenzwert.
Auch der fachliche Hintergrund der Kanzlerinnen und Kanzler lässt eine eindeutige Tendenz erkennen, zwei Drittel werden von nur zwei Fachrichtungen abgedeckt. Wie Abbildung 2 zeigt, haben mit 39 Prozent die meisten Kanzlerinnen und Kanzler deutscher Universitäten ein Studium im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich absolviert. Am zweithäufigsten finden sich Juristinnen und Juristen (28 Prozent). Weitere übliche fachliche Hintergründe umfassen die Naturwissenschaften (11 Prozent), Geisteswissenschaften (7 Prozent) und Ingenieurwissenschaften (7 Prozent). Betrachtet man die berufliche Laufbahn der derzeitigen Verwaltungsleitungen, dann zeigt sich eine starke Tendenz zu verwaltungsbezogenen Tätigkeiten (siehe Abbildung 3). 24 Prozent der untersuchten Kanzlerinnen und Kanzler waren bereits vor dieser Tätigkeit in der Universitätsverwaltung tätig, weitere 20 Prozent arbeiteten in einer Behörde oder dem öffentlichen Dienst. Ein weiteres Kriterium, welches sich allerdings ausschließlich für amtierende Kanzlerinnen und Kanzler betrachten lässt, ist das Alter (siehe Abbildung 4). Das Durchschnittsalter liegt bei 54,2 Jahren.
Dabei zeigen sich zwischen den verschiedenen Bundesländern erhebliche Altersunterschiede. Während das durchschnittliche Alter in Hessen bei 59,2 Jahren liegt, sind die Kanzlerinnen und Kanzler in Schleswig-Holstein mit durchschnittlich 45,3 Jahren beinahe 14 Jahre jünger. Woher diese starke Diskrepanz kommt, ist nicht eindeutig festzustellen. Zwar unterscheidet sich die Gesetzeslage in den Bundesländern in Bezug auf die Befristung der Verträge, diese Tatsache korreliert jedoch nicht mit dem Alter. So ist keiner der fünf Verträge der sich momentan in Hessen im Amt befindlichen Kanzlerinnen und Kanzler unbefristet. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen, wo der Altersdurchschnitt mit 46 am zweitniedrigsten ist, sind beide Verträge unbefristet.
Trends und Entwicklungen
Betrachtet man die Veränderungen und Entwicklungen im Zeitverlauf, so lassen sich einige Trends identifizieren. In Bezug auf das Geschlechterverhältnis fällt auf, dass der Anteil der Kanzlerinnen vom ersten zum zweiten Betrachtungszeitraum leicht gesunken ist (Abbildung 1). Erst in den Jahren 2013 bis 2019 konnte die Quote einen bedeutenden Anstieg verzeichnen. Somit lässt sich seit dem Jahr 2000 schlussendlich ein Anstieg von circa fünf Prozentpunkten feststellen. Zwar ist die Quote damit immer noch nicht annähernd ausgeglichen, allerdings spiegelt die Entwicklung der letzten zwölf Jahre sicherlich einen generellen gesellschaftlichen Trend wider und könnte sich somit in den nächsten Jahren ähnlich fortsetzen.
Die stärkste Veränderung der Datenlage im Beobachtungszeitraum lässt sich in der universitären Ausbildung der Kanzlerinnen und Kanzler feststellen (Abbildung 2). Während von 2000 bis 2006 knapp 60 Prozent der neuangestellten Verwaltungsleitungen einen juristischen Hintergrund hatten, waren es in den letzten sechs Jahren nur noch knapp 30 Prozent.
In diesem Zeitfenster hatten mit knapp 40 Prozent der Neuanstellungen die meisten Kanzlerinnen und Kanzler eine wirtschaftswissenschaftliche Hochschulbildung. Allerdings sind die Wirtschaftswissenschaften nicht die einzige Disziplin, welche über die Jahre einen starken Anstieg verzeichnen konnte. Generell fällt auf, dass einige dieser Fachrichtungen, wie beispielsweise die Naturwissenschaften, einen immer größer werdenden Anteil haben. Ebenfalls auffällig ist, dass der Anteil der reinen Verwaltungswissenschaftler und Verwaltungswissenschaftlerinnen von vier Prozent auf null Prozent gesunken ist. Es lässt sich somit ein genereller Trend hin zur Vielfältigkeit und weg von stereotypischen Studiengängen feststellen.
Fazit
Insgesamt lassen sich klare Trends in der Veränderung bestimmter Merkmale von Universitätskanzlerinnen und Universitätskanzlern über die letzten Jahre hinweg feststellen. Die sichtbarsten sind hierbei der Trend hin zur vielfältigeren universitären Ausbildung und die ansteigende Quote von Kanzlerinnen.
Bei Neueinstellungen von Kanzlerinnen und Kanzlern wird in den letzten sieben Jahren vermehrt auf Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler gesetzt, Juristinnen und Juristen werden immer seltener eingestellt. Zudem hat der Anteil der Personen aus der Privatwirtschaft zugenommen. Dies kann mit verschiedenen Entwicklungen im öffentlichen Sektor in Zusammenhang gebracht werden.
Ausgehend vom Neuen Steuerungsmodell erfolgt in öffentlichen Institutionen, zu denen auch Universitäten gehören, eine Modernisierung und Professionalisierung durch die Übertragung von betriebswirtschaftlichen Instrumenten auf die Leitung derselben. Ein besonderer Fokus wird dabei auf eine ziel- und ergebnisorientierte Steuerung, Bürger- und Kundenorientierung, die Selbststeuerung dezentraler Einheiten, eine Einheit von Fach- und Ressourcenverantwortung sowie eine Konzentration auf Kernkompetenzen gelegt. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass dies vermehrt Personen mit einer professionellen wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung zugetraut wird.
Auch, dass der Anteil der Kanzlerinnen in den letzten sieben Jahren um beinahe acht Prozent gestiegen ist, orientiert sich an aktuellen gesellschaftlichen Trends. Bemerkenswert ist dabei, dass der Anstieg signifikant geringer ausfällt als im Bereich der Privatwirtschaft seit Inkrafttreten der sogenannten „Frauenquote“ (plus 14 Prozent seit 2015). Dass dieses Thema nun verstärkt in den Hochschuldiskurs Einzug h lt, ist unter anderem an Entwicklungen wie der Bielefelder Konferenz „Gender 2020 – Kulturwandel in der Wissenschaft steuern“ erkennbar (Gender 2020).
Dort trafen sich Anfang 2017 Spitzen aus Politik, Wissenschaftsorganisationen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, um über Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung zu reden. Es wird somit deutlich, dass Universitäten keine in sich geschlossenen Institutionen sind, sondern in vielen Bereichen auf wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Trends reagieren und sich somit weiterentwickeln.
Ergänzend zu dieser Studie wird in Kürze eine Folgeuntersuchung zu den demografischen Daten der Kanzlerinnen und Kanzler an den Hochschulen in Deutschland veröffentlicht.
BILDNACHWEIS
Foto Guido Benzler: KIT
Foto Philipp Adler: rheform
QUELLEN UND LITERATUR
BMFSFJ (2020): Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Feste Quote. URL: https://www.bmfsfj.de/quote/daten.html. Letzter Zugriff: 02.12.2020
Gender 2020: Bielefelder Konferenz, URL: http://www.gender2020.de/aktuelles/ Letzter Zugriff: 02.12.2020.
Holst, E./Busch, A. (2010): Führungskräfte-Monitor 2010 (Nr. 56). DIW Berlin: Politikberatung kompakt.
Roessler, I. (2019): CHECK – Universitätsleitung in Deutschland. CHE: Centrum für Hochschulentwicklung. Gütersloh.
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